Die gefährliche eigene Meinung, der Alkohol und verrottende Möbel

Teil 2 der Blog-Serie „Vielschichtige Geschichte(n) mit sozialer Plastik im Untergrund“. Triggerwarnung: NS-Geschichte, Beschreibung einer Ermordung

Eigentlich war Roland Promberger „einfach“ unser Produktionsleiter beim Festival der Regionen. Als ich ihm von meiner Idee erzählte, dass ich antiquarische Möbel suche, die in der Region vielleicht eine „Arisierungsgeschichte“ gehabt haben könnten, lud er mich nach Ebensee ein. Dort hatte er einen sehr alten Flügel eingelagert, den ihm jemand geschenkt hatte, als eine Wohnung direkt an der Esplanade geräumt werden musste. Es war nichts Genaueres bekannt, aber wir beide hatten das Gefühl, dass das passte. Selbst wenn er nicht direkt betroffen gewesen sein mochte, der Flügel bot sich scheinbar als als Stellvertreter in dieser kollektiven Aufstellung an. Dieses wunderschöne Instrument war einst vielleicht sogar bis zu dieser ersten Wiese im Sissipark zu hören gewesen und dort durfte es nun ein Teil der „Stillen Zeugen“ werden. Für diese Installation baute die Restaurationsklasse der HTBLA Hallstatt alte Möbelstücke für mich so um, dass sie aus dem Untergrund der fein gepflegten Wiese in einem Park nahe vieler Villen mit ehemals jüdischen Besitzer*innen herauszubrechen schienen. Der historische Hintergrund dazu war, dass ich in meinen Recherchen erfahren hatte, wie schleppend die Restitution von jüdischem Besitz im Salzkammergut verlaufen war und dass besonders das Inventar der Villen vielfach gar nicht mehr zu seinen ursprünglichen Besitzer*innen bzw. deren Erben und Erbinnen gefunden hatte, sondern immer noch in verschiedensten Haushalten im Salzkammergut verweilte. 

Restaurationsklasse der HTBLA Hallstatt mit ihrem Werk

Als ich Roland einige Wochen später dann fragte, ob ich in seinem Studio Tennleuwö ein umgeschriebenes Volkslied für das Video mit Patricia aufnehmen durfte, war er einmal mehr bereit, über seine „eigentliche Rolle“ hinaus zu gehen. Er war auch inhaltlich voll dabei und half mir (studiounerfahrenen Sängerin) sehr dabei, die richtigen Dialektbetonungen zu finden und aus all den Aufnahmen die am Ende auf die passende Weise schräg werdende Version auszuwählen.

Dabei ging es um viel Feingefühl, schließlich wollten wir sowohl der Position von Patricias (und meiner) Großmutter eine Stimme geben – den Frauen, die hofften ihre Geliebten wieder zu sehen – als auch den sich verändernden Blick der Wehrmachtssoldaten auf den Krieg aufzeigen. Laut den Erzählungen beider unserer Großväter gehörten sie von Anfang an nicht zu jenen, die mit Begeisterung losliefen (wie viele jungen Männer in Bad Goisern, von denen mir eine Historikerin erzählte). Dennoch waren unsere Großväter ein Teil all jener, die „mitgemacht“ und so erst so viele der nationalsozialistischen (Kriegs-)Pläne möglich gemacht hatten. >> Hier schreibe ich ausführlicher über den Dialog von Patricia und mir über unsere Wehrmacht-Großväter.

In einem der Momente vor dem großen Mischpult erzählte ich, wie ich als Teenager meinen Großvater immer sehr drängend ausgefragt und hinterfragt hatte. Warum hatte er da mitgemacht? Ich hätte mir immer so sehr gewünscht, widerständigere Vorfahren zu haben. Ich vermute, dass es in diesem Kontext war, als Roland die ganz andere Geschichte seines Großvaters ausgepackt hat.

„Du hast mit deinem Großvater noch reden können, ich nicht.“ Rolands Großvater war nicht im Krieg, sondern als geschickter Waffenschmied in der Rüstungsindustrie in Steyr dafür zuständig, Präzisionsgewehre für Scharfschützen zu bauen. Nach der Arbeit ging er scheinbar öfter noch was trinken, auch mal mehr als gut für ihn war. „Er hat halt den Mund nicht halten können. Zweimal haben sie ihm noch geholfen, als er im Rausch gegen den Adolf gewettert hat. Beim dritten Mal kam er dann nach Mauthausen. Ich hab gehört, da hatten sie dann dieses Spiel, dass sie durchzählen mussten. Die 1er bleiben stehen und die 2er müssen vortreten. Alle 2er sind erschossen worden. Mein Opa war so ein 2er. So stell ich mir das vor und so erzähl ich es. Sagen wir mal, es ist eine mündliche Überlieferung. Genau geredet hat ja niemand darüber. Das war ein Familientabu.“ 

Bei Roland im Tennleuwö Studio

Direkt hinter seinem Studio, wo er auch regelmäßig Musiksendungen für das lokale Mitmach-Radio aufnimmt, hat Roland seine „Kulturwiese“, auf der immer wieder Open-Air-Parties und Konzerte stattfinden. Noch während des Festivals bot er mir an, dass die Möbel der Installation „Stille Zeugen“ nach ihrem Auftritt im Sissi Park bei ihm bleiben könnten. „Die Natur soll da ihren Prozess noch in Ruhe abschließen können.“ Ohne viel darüber zu reden, waren wir uns auch ohne Worte einig darüber, worum es dabei ging.

Zuerst war die Stadtgemeinde Bad Ischl ja so begeistert vom Anblick der „vergrabenen Möbel“ auf ihrer gepflegten Wiese neben der Traun, dass sie diese auch über den Festivalzeitraum hinaus behalten wollten – doch schon wenige Wochen später bekam ich noch während meines Post-Festival-Erholungsurlaubs am Meer die Nachricht, dass die Möbel nach den sommerlichen Regenfällen nun nicht mehr so schön anzuschauen seien, nun nicht mehr ins Stadtbild passen würden und dementsprechend der Bauhof beauftragt würde, sie wegzubringen.

Welch interessanter Moment in diesem ganzen Projekt. Erinnerungskultur war willkommen, so lange sie hübsch war. Auch meine Stecknadeln (damals noch mit Holzköpfen, gefertigt von der Drechslereiklasse der HTBLA Hallstatt) waren von Regen, unschön werdendem Aussehen und Abbaunotwendigkeiten betroffen. Ich konnte die Aktion zumindest so lange stoppen, bis ich selbst auch dabei sein und den Transport der Möbel auf die Kulturwiese von Roland organisieren konnte. 

In den kommenden Monaten und Jahren hielt mich Roland dann hin und wieder mit Fotos auf dem Laufenden über den Lauf der Dinge auf der Kulturwiese. Die letzten Bilder kamen dann im April 2024 von einem Lagerfeuer mit einigen Überresten.

Anfang 2025 telefonierte ich dann nochmal mit Roland, um mir sein OK zu holen, ob ich über seine Geschichten schreiben darf. Wir tauchten nochmal ein in all die eben beschriebenen Momente. 

Wie nebenbei erwähnt er dabei, dass auch seine Großmutter ins KZ gekommen war, weil auch sie „rauschig gegen den Adolf gewettert hatte“. Sie war angeblich zu Kriegsende 1945 für drei Tage im Frauen-KZ Lenzing, bis sie dank der Befreiung durch die amerikanischen Soldaten wieder nach Hause gehen konnte.

Während dem Telefonat geht er die Familienchronik suchen, um zu schauen, was darin vielleicht aufgeschrieben steht – aber dort ist zu seiner Großmutter nichts erwähnt und es fehlt das Sterbedatum seines Großvaters.

Wir sind uns einig, dass seine Großeltern gut zusammengepasst hatten. Beide mutig genug, eine Meinung zu haben, was damals jedoch gefährlich war. „Mit dem Alkohol hätten sie vielleicht doch ein bisschen vorsichtiger sein sollen.“Zum Abschied meint er, dass er sich ja sonst nicht so sehr für die Vergangenheit interessiere und nach einer kurzen Pause ergänzt er, „aber durch deine Person und deine Fragen kommt doch einiges z‘samm wo ich sag: Aha, interessant.“ 

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