Patricia und unsere Großväter

Teil 1 der Blog-Serie „Vielschichtige Geschichte(n) mit sozialer Plastik im Untergrund“.
Alles, was in Hallstatt möglich wurde, wäre ohne Patricia Eder niemals so gekommen. Mit ihr möchte ich beginnen.
Patricia und ich lernten uns im Herbst 2020 kennen in einer Zeit, als Hallstatt menschenleer war. Ich hatte das Glück, genau damals trotzdem ins Salzkammergut reisen zu dürfen, weil ich für das Festival der Regionen 2021 als so genannte „Kulturnautin“ eingeladen worden war, dort ein Kunstprojekt umzusetzen. In einer vom Festivalleiter Airan Berg kuratierten Einführungswoche stand u.a. auch ein Treffen mit dem örtlichen Kulturverein „kunterbunt KulturBunt“ am Programm. Das Festivalthema war „Underground / Unter Tag“ und die Vereinsmitglieder hatten sich schon vorab Gedanken gemacht, zu welchen Aspekten davon sie mit uns Kulturnaut*innen an einer Kooperation interessiert wären. Ich hatte mich schon davor entschieden, dass ich zum Thema der verdrängten NS-Geschichte der Region arbeiten wollte. Dementsprechend hellhörig war ich, als Patricia Eder ihre Liste vorlas und sie an einem Punkt meinte, „Nationalsozialismus wäre interessant – da wissen wir gar nichts, was da in Hallstatt war.“ Wir plauderten noch ein bisschen und tauschten unsere Telefonnummern aus.
Nach einigen Wochen und ersten Recherchen im Zeitgeschichtemuseum Ebensee meldete ich mich via WhatsApp: „Hallo Patricia, wie geht es euch? Hat unser Gespräch noch nachgewirkt? Habt ihr weiter über die NS-Zeit bei euch recherchiert? Ich bin in meiner Recherche auf die Geschichte von Frau Bergmann gestoßen, die jüdische Frau des evangelischen Pfarrers, die fast die ganze Zeit noch in Hallstatt gelebt hat und in der Nacht vor ihrer Deportation einen Selbstmord vorgetäuscht hat, dass sie in den See gegangen ist… dadurch konnte sie fliehen, hat mit falscher Identität in Passau als Krankenschwester im Lazarett gearbeitet und hat überlebt. Kennt ihr diese Geschichte?“ Nein, die kannten sie nicht.
Am nächsten Abend kamen viele Nachrichten und Fotos bei mir rein. Patricia hatte eine Fotokiste vom Dachboden geholt und ein eigenes von der Großmutter gestaltetes Album mit Kriegserinnerungen ihres Großvaters gefunden. Er war (genau wie mein eigener Opa) als Wehrmachtssoldat in Russland und Frankreich im Einsatz, aber ich hatte außer der üblichen Portraits in Uniform keine Bilder von ihm an der Front. Wir schrieben an diesem Abend noch lange hin und her.
Daraufhin beschäftigten wir uns zuerst mit diesem Teil der Geschichte und ich erzählte Patricia, dass ich in Bad Goisern erfahren hatte, wie begeistert dort viele Familien vom Krieg gewesen waren – bis die ersten Todesmeldungen kamen. Eigentlich hatte ich den Plan gehabt, Menschen aus der Bevölkerung einzuladen, sich musikalisch mit einzelnen Geschichten der Region aus der NS-Zeit zu beschäftigen, und dazu wollte ich dann Videos machen. Doch Patricia wollte weder mit ihrem Schlagzeug noch mit ihrer Stimme selbst hörbar werden. Daraufhin entwickelte ich ein Konzept für einen kurzen Film, in dem nur Patricias Hände und die Fotos zu sehen waren und für den ich ein bekanntes Volkslied umdichtete, das ich dann – immer in Patricias Anwesenheit – im Studio eingesungen und mit Akkordeonbegleitung gespielt habe.
Während der Mastering-Session im Studio erzählte uns der Tontechniker Roland Promberger davon, wie sein Großvater nach Mauthausen gekommen und dort umgekommen war, weil er sich im Rausch zu kritisch gegen Hitler geäußert hatte. Patricia und saßen einfach nur da und hörten zu. Das war einer dieser Momente, in denen das gemeinsame Arbeiten an diesem Projekt phasenweise einfach der Rahmen war, damit bestimmte Geschichten wieder mal atmen und bezeugt werden konnten.
Das Video war schließlich über einen QR-Code in einer überdimensionalen Stecknadel neben dem Kriegerdenkmal in Hallstatt zu finden und lief mit den anderen Videos aus den Stecknadeln während des Festivals der Regionen 2021 in einer Videoinstallation im der HTBLA Hallstatt, im HandWerkHaus Bad Goisern und im Lehártheater Bad Ischl.
Das war der erste Strang, den Patricia und ich verfolgten, doch auch die Geschichte von Else Bergmann beschäftigte uns weiter, und aus all dem wurde eine immer noch andauernde Freundschaft.
Fortsetzung folgt…
Schreibe einen Kommentar