Wie wird eine soziale Plastik sichtbar? Und das gemeinsame Erinnern?

Es ist an der Zeit, mal ein bisschen mehr zu schreiben über das, was bei einigen meiner Kunstprojekte davor, danach und rundherum geschah. Denn eigentlich ist genau das das Wesentliche. Eine kleine Intro zu meiner Blog-Serie „Vielschichtige Geschichte(n) mit sozialer Plastik im Untergrund“.

Schon während meiner Arbeit am Erinnerungskulturprojekt „Vielschichtige Geschichte(n)“ im Rahmen des Festivals der Regionen 2021 stellte ich mir immer wieder die Frage nach der angemessenen Dokumentation. 

Verhältnismäßig leicht zu dokumentieren waren die Stecknadeln im öffentlichen Raum, die Videos, das Tischtuch, scheinbar vergrabene Möbelstücke im Park, eine Performance und einige Gesprächsveranstaltungen. All das beschrieb und bebilderte ich nach dem Festival ausführlich auf meiner Website.

Installation „Stille Zeugen“, Bad Ischl 2021

Doch ich wusste auch, dass damit „nur“ die öffentlich sichtbaren Formen, die das Projekt angenommen hatte, dokumentiert waren – und dass für mich das eigentliche „Werk“ noch eine ganz andere „Form“ hatte. Passend zum Festivalthema „Underground“ war die Webdokumentation vielleicht eine Gruppe von Pilzen am Waldboden, während die parallel dazu gewachsene und weiterwachsende soziale Plastik, nur durch einen Blick auf deren verzweigtes Myzelium erkennbar werden könnte.   

In einer Serie an Blogartikeln möchte ich nun Einblicke in manche Momente „hinter den Kulissen“ geben und vielleicht entsteht aus der Wahrnehmung dieser Begegnungen und Gespräche ein größeres Bild. Und ich frage mich selbst: Wird dabei das sichtbar, worum es mir eigentlich geht? Dieses Etwas, das ich am ehesten als „soziale Plastik“ beschreiben würde, das aus Menschen und ihren Verbindungen zueinander besteht? Wird dabei vielleicht auch begreifbar, welche Rolle dabei (m)ein Kunstprojekt als Anlass und Anker für das hier Entstehende spielt? Aber lässt sich dabei vielleicht auch nachvollziehen, dass das gleichzeitig nicht so wichtig ist, weil genau dann, wenn dabei scheinbar etwas besonders zu „gelingen“ scheint, nicht ich selbst mir dafür die Credits geben kann, sondern schlicht Kräfte des Lebens am Werk sind, die jenseits meiner künstlerischen Einflusssphäre liegen?

Bevor ich diesen offenen Fragen in den nächsten Texten weiter auf die Spur zu kommen versuche, hier noch ein paar grundlegende Informationen über meine Arbeitsweise im Kontext von Erinnerungskultur: Mein künstlerisches Handeln baut auf einem Verständnis von Gedenken als soziale Praxis auf. Das lateinische Wort „commemoratio“ oder das englische Wort „commemoration“ beinhalten durch die Silbe co-/com- den Hinweis auf den gemeinsamen Moment: Es geht mir um dieses „sich erinnern“, das gemeinsam geschieht. Manchmal ist dieses gemeinsame Erinnern still, manchmal geschieht es im Dialog.

Entlang meines gesamten Arbeitsprozesses erkenne und gestalte ich solche Momente des gemeinsamen Gedenkens. Manche ergeben sich spontan während ich mit den unterschiedlichsten Projektpartner*innen praktische Details bespreche, andere Gesprächsmomente lade ich bewusst ein im gezielten Austausch mit interessierten Menschen in der Bevölkerung, mit Angehörigen von Opfern und Täter*innen. Die informelle Erinnerungskulturarbeit ergänze ich oft durch (halb-)öffentliche Dialogveranstaltungen. 

Dieser Ansatz der Erinnerungskulturarbeit in Form von dialogischer Kunst (Grant Kester), sieht jedes stattfindende Gespräch und jede Begegnung im Rahmen des Kunstprojekts als wertvollen Teil einer dabei parallel entstehenden sozialen Plastik (Joseph Beuys). Dadurch formt sich parallel zum Entstehungsprozess von z.B. Installationen im öffentlichen Raum und Videos auch ein zwischenmenschliches „Kunstwerk“. Diese Art von „Kunst“ ist nur gemeinsam möglich.

Ein Nebeneffekt davon ist, dass durch die Möglichkeit zur Beteiligung und zum Dialog wertvolle Verbindungen entstehen und es immer wieder Menschen gibt, die durch ihre dabei aufgebaute Beziehung zum Gedenkprojekt auch in ihrem Umfeld davon erzählen. Ich glaube, dass diese Beziehung zur Sache wesentlich ist, damit Erinnerungskultur (an einem bestimmten Ort und allgemein) längerfristig lebendig bleibt.

Gleichzeitig ist diese Herangehensweise auch eine Reaktion auf die Tatsache, dass langsam eine Phase der Erinnerungskultur (der NS-Zeit) beginnt, in der wir nicht mehr im Dialog mit Zeitzeug*innen eine Verbindung zur Vergangenheit herstellen können. Die meisten von ihnen sind bereits gestorben. Jetzt treffen sich im Gedenken vermehrt nur noch die Nachfolgegenerationen.

In den Gesprächen im Rahmen meiner Projekte gibt es einige Fragen, die viele Menschen immer wieder beschäftigen – egal ob ihre Ahnen Opfer oder Täter*innen waren: „Was wissen wir von damals? Was wurde uns da hinterlassen? Wie gehen wir damit um?“ Diese Fragen nach dem „Umgang mit dem Erbe“ stellen sich sowohl auf einer kollektiven und symbolischen als auch auf einer persönlichen Ebene.

Manchmal spielt dabei auch die persönliche Beschäftigung mit der Weitergabe von transgenerationalen (familiären) Traumata und/oder das gemeinsame Erkennen und Anerkennen von Symptomen kollektiver Traumata eine Rolle. Diesbezüglich konnte ich durch die Teilnahme an und die Moderation von Begegnungen zwischen Angehörigen von Täter*innen und Opfern des Nationalsozialismus vielfältige Beobachtungen sammeln. Aus diesen Erfahrungen heraus und auf Basis einer Fortbildung im Umgang mit kollektiven Traumata habe ich meine traumainformierte Arbeitsweise als dialogische Künstlerin entwickelt.

Das gemeinsame Erinnern, dialogische Kunst, traumainformierte künstlerische Praxis und soziale Plastik – ich bin selbst gespannt, wie all das durch diese Blog-Serie umfassender sichtbarer werden kann.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

*

*